Die Liebe in den Zeiten des Supermarktes

Fragen an den Literaturwissenschaftler Prof. Heinz Drügh zu dem neuen Verbundprojekt über Konsumästhetik

Veröffentlicht am: Dienstag, 11. Dezember 2012, 11:07 Uhr (060)

Warum ist ein Produkt auch über seinen reinen Gebrauchswert hinaus für uns von Bedeutung und welches Echo findet die alltägliche Warenwelt in verschiedenen Kunstformen und Medien? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Verbundprojekts „Konsumästhetik– Formen des Umgangs mit käuflichen Dingen“, das ab Januar 2013 für drei Jahre von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird. Zu den Kooperationspartnern gehört die Goethe-Universität, die gleich mit mehreren Themenstellungen beteiligt ist: Prof. Birgit Richard vom Institut für Kunstpädagogik untersucht mit Blick auf das Web 2.0 „Konsum-Objekte im bewegten Bild, Bildkonsum und Bildproduktion“. Unter der Federführung von Prof. Heinz Drügh (Bildmitte, Dirk Frank (links), Bernd Frye), Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik, geht es um „Künstlerische Verhandlungsformen des Konsums“. Drügh selbst analysiert dabei die „Darstellung des Supermarkts als Ort der Moderne in Film und Literatur“. Der Professor für Neuere Deutsche Literatur und Ästhetik ist Mitherausgeber des Sammelbandes „Warenästhetik – Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst“. An der Goethe-Universität (2008) und am Forschungskolleg Humanwissenschaften (2010) hat er einschlägige internationale Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt.

Die englische Punkband „The Clash“ fühlte sich Ende der 70er Jahre „Lost in the Supermarket“. Wie geht es Ihnen, wenn Sie einkaufen, Herr Professor Drügh?

Es gibt auch einen Supermarkt-Song von Iggy Pop. Da heißt es: „I’m sitting in the supermarket on
a disposable shelf.“ Er sitzt also auf einem Regalbrett, ist eingeklemmt, und sagt: „mir ist so eng dort.“: „ I kinda need some help.“ Das Signal ist: Ich passe hier überhaupt nicht hin, obwohl ich letztlich nicht zufällig dort sitze. Denn das ist die
Schizophrenie von Popmusik – letztlich auch des Punk. Auch der ist und bleibt warenförmig. Was Ihre Frage anbelangt: Die zielt ja darauf, wie komisch das wohl ist, wenn ich einkaufen gehe und praktisch zum eigentlichen Einkaufen gar nicht mehr komme, weil ich über jede Zwiebackpackung nachdenke. Ich kann Sie da aber beruhigen; so nutty bin ich nicht.

Sie beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit Konsum- und Warenästhetik, zumal als Literaturwissenschaftler. Wie kam es dazu?

In den 90er Jahren gab es das Wiederaufflammen einer literarischen Richtung, der Popliteratur, die sich auch dadurch auszeichnet, dass Markennamen explizit genannt werden und Konsum ein Thema ist. Die Popliteratur ist heftig kritisiert worden, man sagte: Kunst gibt bei der Popliteratur das auf, was sie genuin auszeichnet, nämlich eine kritische Reflexionsdistanz zu den alltäglichen Pathologien unseres Lebens. Popautoren wurden als eine Art Konsumknechte entlarvt. Das hat mir nicht eingeleuchtet. Denn die Popliteratur hat vieles, was man unter den Gesichtspunkten Massenmedialität und Warenförmigkeit fassen kann, überhaupt einmal wahrgenommen und darstellbar gemacht, und zwar in einer eigentümlichen und ästhetisch innovativen Mixtur aus Affirmation und Kritik.

Ist das Verhältnis der Wissenschaft zu den Waren entspannter geworden? Lange Zeit schien ja die Ansicht des Philosophen Wolfgang Fritz Haug vorzuherrschen. Er schreibt in seinem Buch „Kritik der Warenästhetik“, dass an die Stelle des realen Gebrauchswerts Suggestion trete. Die Waren seien häufig nur schöner „Schein, auf den man hereinfällt“.

Haug hat ja den Begriff der „Warenästhetik“ in den 70er Jahren geprägt. Das muss man wissen und anerkennen. Aber ich finde die Art und Weise, wie er hinschaut, relativ monolithisch. Er sagt, es herrscht Monopolkapitalismus, die Konzerne betrügen uns und machen uns zu rastlosen Dauerkonsumenten. Ganz abstreiten kann man das zwar nicht, die Diagnose ist mir aber zu undifferenziert. Was bei Haug beispielsweise völlig fehlt, ist die Akteursseite. Es gibt Wissenschaftler wie den Ethnologen Daniel Miller, der auch bei der Vortragsreihe am Forschungskolleg in Bad Homburg mit dabei war, die sich das genauer anschauen: Welche Bedeutung haben die Produkte für den Alltag der Menschen? Konsum lässt sich nicht bloß in Extremen wie totaler Verschwendung und dekadentem Überfluss – oder in Form der leeren Schlecker-Regale, die die Gegenwartskunst so sehr faszinieren, denken und darstellen.



Lost in the Supermarket? Portland, Oregon (USA); Foto: Iyzadanger


Zu den Vortragenden Ihrer Reihe am Forschungskolleg gehörte auch Eva Illouz, die sich als Soziologin damit beschäftigt, in welch komplexen Relationen die moderne Form intimer Zweisamkeit mit Akten des Konsums steht. Und wie wiederum „Liebe und Konsum im Roman“ behandelt werden, ist das Forschungsthema Ihrer Mitarbeiterin Annemarie Opp.

Eigentlich sagt man ja: Liebe kann man nicht kaufen. Liebe wird somit zu einem Residuum des ganz Anderen in einer vom Kapitalismus geprägten Welt. Eva Illouz sagt aber auch, dass die entsprechenden Liebesrituale – die notorische Flasche Champagner zu zweit als Symbol von Verschwendung und Überschreitung des Gewöhnlichen – mit dem Konsum verbandelt bleiben: Wie das gegenwärtig im Roman verhandelt wird, untersucht Annemarie Opp im Rahmen des Projekts. Sie stellt das auch in einen historischen Zusammenhang. Man kann bereits in Goethes „Werther“ oder bei Flaubert oder Fontane sehen, wie die Fetischisierung von Objekten gerade für Liebespaare bedeutsam wird.

Sie selbst interessieren sich für einen bestimmten Ort des Konsums. Sie analysieren den Supermarkt als Motiv in der Literatur – aber auch im Film. Warum beziehen Sie dieses Medium mit ein?

Obwohl interessanterweise gerade in den letzten Jahren eine Reihe von literarischen Texten den Supermarkt thematisieren, hat der Film eine besondere Affinität zu diesem Ort als einem spezifischen Schauplatz der Moderne. Es gibt seit den 1920er Jahren viele Filme, die im Warenhaus spielen, z.B. „The Shop around the corner“ mit den Marx Brothers oder Lubitschs „Rendezvous nach Ladenschluss“ oder in den 1970er Jahren „Dawn of the Dead“ von George A. Romero, einen Film, in dem Zombies durch ein Einkaufszentrum wanken.

In deutschen Supermärkten geht es weniger gruselig zu. In David Wagners Roman „Vier Äpfel“ scheint der Supermarkt beispielsweise eher ein Ort der Reflexion zu sein.

„Vier Äpfel“ beginnt mit dem Satz: „Lange bin ich gar nicht gern in Supermärkte gegangen.“ Das ist ein Zitat aus Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Da heißt der erste Satz: „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“ Der Ich-Erzähler denkt im Supermarkt über eine verlorene Liebesbeziehung nach. Er geht an Waren vorüber, und ihm fällt beispielsweise ein, dass sie zusammen Spaghetti gekocht haben. Und dann sinniert er etwa auch über Seltsames oder Preziöses, etwa, dass Spinat heutzutage tiefgefroren ist, während die Comicfigur Popeye noch Dosen hatte, und was möglicherweise daraus zu schließen ist. Man sieht: Konsum und Alltagskultur sind eng miteinander verwoben, und ihre mediale Darstellung kann eine Menge über unsere Gegenwart erzählen.

Vom Supermarkt in der Literatur zur Literatur im Supermarkt. Was halten Sie davon, dass man in Supermärkten mittlerweile auch Bücher kaufen kann?

Vor kurzem hat mir ein Freund erzählt, er habe eines meiner Bücher für einen Euro auf einem Grabbeltisch bei REWE gesehen,
das war ein von mir und meinem Mitarbeiter Christian Metz herausgegebenes Lesebuch mit Texten der Weimarer Klassik. Ich finde solche Konstellationen ja nicht ohne Reiz.

Das Interview ist in der Ausgabe 6-2012 des UniReport erschienen. Das Gespräch führten Bernd Frye und Dirk Frank.