Interview: Wie stehen Sie zum Boykott von Elsevier?

Fragen an Berndt Dugall, Direktor der Universitätsbibliothek

Veröffentlicht am: Donnerstag, 29. März 2012, 12:06 Uhr (007)


Der britische Mathematiker Timothy Gowers von der Universität Cambridge hat zum Boykott der Fachzeitschriften des Medienkonzerns Reed Elsevier aufgerufen. Auf der Internetseite www.thecostofknowledge.com erklären mittlerweile etwa 8.000 Wissenschaftler aus aller Welt, wegen der überhöhten Abonnementpreise nicht mehr mit dem Konzern zusammenarbeiten zu wollen – weder als Autor noch als Gutachter oder Herausgeber. Unter ihnen ist auch der Mathematiker Günter Ziegler von der FU Berlin, bis vor Kurzem Herausgeber des European Journal of Combinatorics und des Journal of Combinatorial Theory, Series A.

Frage: Herr Dugall, Ihr Kollege Remco van Capelleveen von der FU Berlin hat gegenüber dem „Spiegel-Online“ erklärt, Elsevier und andere Verlage kalkulierten den Preis nicht nach den tatsächlichen Kosten, sondern trieben ihn aufgrund ihrer Monopolstellung absichtlich in die Höhe. Erleben Sie das auch so?

Dugall: Die Preissteigerungen im wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt sind sozusagen von jeher exorbitant. Ebenso ist es eine Tatsache, dass Zeitschriften rein kommerzieller Firmen erheblich teurer sind, als etwa die von wissenschaftlichen Gesellschaften (learning societies). Die Ursache dürfte letztlich darin liegen, dass auf diesem Markt kein Wettbewerb herrscht, sondern international ausgerichtete Oligopole das Geschäft dominieren.

Frage: Merken Sie in der Universitätsbibliothek schon etwas von dem Elsevier-Boykott?

Dugall: Nein. So etwas kann aber auch – wenn überhaupt – nur längerfristig Wirkung zeigen.

Frage: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Zeitschriften von Elsevier abzubestellen, weil sie zu teuer sind? Was wären die Konsequenzen?

Dugall: Ich versuche immer wieder z.B. mit Dekanen, die Möglichkeit der Abbestellung besonders kostspieliger Zeitschriften auszuloten. Letztlich scheitert dies in den allermeisten Fällen daran, dass – Kosten hin oder her – aus übergeordneten Gründen der Forschung auf die Titel nicht verzichtet werden kann. Versuchen Sie einmal, einem Mediziner zu erklären, dass wir ab sofort auf die Zeitschrift „Lancet“ verzichten oder einem Chemiker zu verdeutlichen, dass wir aus finanziellen Erwägungen „Tetrahedron Letters“ abbestellen wollen.

 Frage: Sehen Sie im „open access publishing“ eine Alternative zur gegenwärtigen Situation?

Dugall: Open Access wurde vor gut 10 Jahren als echte Alternative gesehen. Leider ist der Prozess aus zwei Gründen nicht so schnell vorangekommen, wie sich dies die Protagonisten erhofft haben. Zum einen ist dies die dominante Rolle des „Impact factors“. Solange wissenschaftliche Reputation und auch persönliches Fortkommen wesentlich davon beeinflusst werden, wo man publizieren kann, haben weltweit anerkannte Zeitschriften einen enormen Startvorteil. Den einzelnen Wissenschaftler betreffen ja auch die Kosten bestenfalls indirekt. Wir haben gemeinsam mit Professor König an mehreren Universitäten Ende 2010 eine Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, welche Kriterien die Entscheidung darüber beeinflussen, wo jemand publizieren möchte. Das „open access“ Thema landete dabei mit weitem Abstand auf dem letzten Platz.

Der zweite wichtige Punkt besteht darin, dass sich die internationalen Verlage inzwischen dieses Feldes sehr stark angenommen haben. Mit Autoren finanzierten OA Modellen wird der Community etwas vorgegaukelt, was am Ende die Kosten in keiner Weise reduziert, sondern nur die bisher output-finanzierte Struktur auf ein input-finanziertes Modell umlenkt.

Frage: Können Wissenschaftler der Goethe-Universität ihre Forschungsergebnisse bereits nach der Erstpublikation auf einem Server der Uni allgemein zugänglich machen?

Dugall: Technisch und organisatorisch ja. Eine entsprechende Infrastruktur steht bei uns zur Verfügung (publikationen.ub.uni-frankfurt.de/). Ob sie es aber aufgrund der urheberrechtlichen Gegebenheiten dürfen, hängt von den jeweiligen Verlagsverträgen ab. Hierauf hat nur der Autor selbst letztlich Einfluss.